Wachtberg, 16. März.
Wie soll die ‚Schule der Zukunft‘ in Wachtberg und in Nordrhein-Westfalen aussehen? Das war das Thema einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung der Wachtberger SPD am Dienstag, den 15. März im Saal des Henseler Hofs in Niederbachem. „Dies ist unsere erste politische Veranstaltung in Präsenz nach zweijähriger Corona-Abstinenz, und wir freuen uns über die gute Resonanz“, so Ortsvereinsvorsitzender Paul Lägel in seiner Begrüßung. 33 Bürgerinnen und Bürger waren vor Ort, darunter Eltern, Lehrpersonal und Kommunalpolitikerinnen und -politiker. Und zwölf Teilnehmende waren der Online-Übertragung zugeschaltet. „Wir bieten diese Diskussion zwar auch aus Pandemiegründen als Online-Veranstaltung an. Vor allem sehen wir das aber als ein Angebot an junge Familien, die eine Teilnahme an den klassischen politischen Veranstaltungen am Abend nicht mit der Kinderbetreuung vereinbaren können. Denn gerade zu Themen wie Bildung oder Klimaschutz brauchen wir mehr Vereinbarkeit von Familie und Politik. Dem möchten wir mit der Online-Übertragung Rechnung tragen“ erläuterte die Moderatorin Dr. Charlotte Echterhoff, Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern und Landtagskandidatin der SPD in Wachtberg.

Aus Düsseldorf war Jochen Ott angereist, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der NRW-SPD und ihr bildungspolitischer Sprecher. In seinem Beitrag erläuterte er, dass Schulpolitik auch in der SPD lange Zeit kein Gewinnerthema in der Landespolitik war. Gerade in der Pandemie der letzten zwei Jahre hat niemand in der Landesregierung Verantwortung übernommen. Dabei zeigt sich in diesen Tagen, dass unser wichtigstes Kapital nicht Rohstoffe, sondern Wissen und Innovationsfähigkeit sind. Und dafür brauchen wir ein erstklassiges Bildungssystem. Das heißt aber nicht, dass Abitur und ein Studium als alleiniges Ziel für einen Bildungsabschluss anzustreben sind. Denn ein Handwerksmeister verdient in seiner Lebensspanne möglicherweise deutlich mehr als ein studierter Betriebswirt. Betriebe in Deutschland kämpfen um die besten Schüler, und unser Bildungssystem muss den Eltern laut Ott den Druck nehmen, dass nur ein Prädikatsabitur ein gutes Leben und Arbeiten sichert.
Dem stimmten viele Eltern in der Diskussion zu. Eine Mutter von drei Kindern führte aus, dass den Kindern in ihrer Schullaufbahn in unserer leistungsorientierten Gesellschaft nicht mehr genug Freiraum für kreatives Lernen eingeräumt wird. „Es wird vor allem geschaut, was die Kinder nicht können, statt ihr Potential in den Vordergrund zu stellen“. Und der Druck auf die Eltern, ihre Kinder aus Wachtberg auf ein Bonner Gymnasium zu schicken, sei immens.
Dem konnte Linn Henkel, die vor einigen Jahren ihre Grundschule in Villip in Richtung eines Bonner Gymnasiums verlassen hat, nur beipflichten. „Statt nur auf die Noten zu schauen, sollten Schülerinnen und Schüler besser individuell gefördert werden,“ sagte sie.
Das findet auch Carsten Kroppach, Vater eines Drittklässlers in einer Grundschule in Wachtberg und selbst Lehrer an der Integrierten Gesamtschule in Bonn-Beuel. Er sieht vor allem ein Problem in der fehlenden Durchlässigkeit des Bildungssystems. „Die Entscheidung für die Schulform am Ende des dritten Schuljahres fällen zu müssen, ist viel zu früh“, so Kroppach. Das zeige sich an den vielen Schülerinnen und Schülern an den Gymnasium, die bereits sehr früh auf Nachhilfe angewiesen seien. Dagegen schaffen viele Kinder, die mit einer Haupt- oder Realschulempfehlung an eine Gesamtschule kommen, dann die gymnasiale Oberstufe. Hier solle man auf Bildungssysteme in Skandinavien schauen, wo nicht der frühzeitige Leistungsvergleich, sondern die Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund stehen.
Breiten Raum nahm auch die Diskussion über die Erweiterung des Angebots an weiterführenden Schulformen in Wachtberg ein, etwa in Form einer von der SPD in ihrem Wahlprogramm geforderten Gesamtschule. Jutta Danylow, schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in Wachtberg, beschrieb die Bildungslandschaft in Wachtberg mit fünf Grundschulen und der Hans-Dietrich-Genscher-Hauptschule, die vielfältige Abschlussmöglichkeiten bietet. Derzeit gehen etwa zwei Drittel der Grundschüler nach der vierten Klasse auf ein Bonner Gymnasium, 12 Prozent verbleiben an der Hauptschule, der Rest verteilt sich auf Real- und Gesamtschulen in Bonn. Wie überall in Deutschland ist auch in Wachtberg der Wunsch der Eltern nach einem gymnasialen Abschluss sichtbar.
Das bedeutet auch eine Form des „Brain-Drain“ für die Gemeinde, wenn die älteren Schülerinnen und Schüler sich dann auch in der Freizeit stark zu den Freundeskreisen nach Bonn orientieren. Dies ist nicht nur ein tiefer Einschnitt im Alltag der betroffenen Kinder und Jugendlichen, die Wachtberg mit zehn Jahren verlassen müssen, wie Linn Henkel aus eigener Erfahrung schilderte. Sondern es ist auch auf lange Sicht ein negativer Standortfaktor für die Gemeinde, wenn in Wachtberg ein eigenes umfassendes Angebot für die weiterführende Schulzeit fehlt.

Für Jochen Ott (SPD) ist das Drei-Säulen-Modell mit Haupt- und Realschule und dem Gymnasium ein Modell der Vergangenheit. “Ziel muss ein durchlässiges Bildungssystem sein, das zudem den Abschluss nicht von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler abhängig macht. Die Ökonomisierung des Bildungssystems muss ein Ende haben“, so Ott. Und er stimmte Jutta Danylow zu, dass das Problem des Lehrermangels dringend gelöst werden muss, der vor allem an den Grundschulen in den nächsten Jahren dramatisch sein wird. Dazu gehört dann aus Sicht der SPD etwa auch eine gleiche Eingangsbesoldung für das Lehramt an Grundschulen im Vergleich zu den anderen Schulformen.
Aus seiner Sicht wäre Wachtberg aufgrund der guten Sozialsituation ein idealer Standort für eine qualitativ hochwertige Gesamtschule. Aber man sollte darüber keine Schulkriege führen, sondern über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten und gegenüber der Schulbehörde und den Nachbarkommunen gemeinsam auftreten.
Nach zweistündiger Diskussion zog Moderatorin Dr. Charlotte Echterhoff ein positives Fazit: „In den vergangenen zwei Jahren gerieten das Thema Bildung und die Situation an den Schulen vor allem vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie immer wieder in negative Schlagzeilen. Aber auch die über Jahre nur am „Messen und Vergleichen“ orientierte Lernkultur gehört auf den Prüfstand. Es war gut, endlich wieder über bildungspolitische Weichenstellungen für die „Schule der Zukunft“ zu reden. Dazu gehören offenbar Wege zur Chancengleichheit durch längeres gemeinsames Lernen, die Ressourcen und die Ausstattung von Schulen, der Lehrkräftemangel oder die unzureichende Besoldung vor allem des Personals an Grundschulen“ resümierte Echterhoff.